Oder: Wie ich als Unbeteiligter die Situation in Hamburg erlebt habe.
Man kann über Soziale Netzwerke denken, was man möchte. Aber an Tagen wie dem vergangenen Samstag (#hh2112) sind sie ein unbezahlbarer Gewinn. Für alle und dank allen, die sie benutzen.
Durch Twitter, war ich 3 Stunden an meinen Rechner gefesselt und auf einmal drin in einem Thema, dem ich in den letzten Wochen höchstens ganz am Rand Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Das eigentlich Thema ist mir zwar immer noch ziemlich fern. Besetzte Häuser und Asylrechte. So in der Art. Aber an diesem Samstagabend ging es ja kaum darum. Eine Journalistin mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik fasste es “schön” zusammen:
Und dann knallt s doch noch #hh2112
http://t.co/l9RMVKIXKX
— Julia Weigelt (@Julia_Weigelt) 21. Dezember 2013
Das verlinkte Video übrigens zeigt, wie sich die Demo unter einer Brücke (auf-)gestoppt wurde. Nach der Ankündigung hätte ich mehr erwartet.
Die Bedeutung dieses YouTube Schnipsels war mir da noch nicht klar.
Ich war nur kurz an Duisburg erinnert und fragte mich, warum man Menschen ausgerechnet in einem Tunnel aufstoppt?
Blut geleckt
Ich verfolge weiter die Nachrichten, Bilder und Videos, die über Twitter reinkommen. Und nach und nach fügt sich alles zusammen.
Da war richtig was los in Hamburg.
Ein Filmer machte aber präzisere Aufnahmen, übrigens derselbe, der auch den Anfang der Demo dokumentiert hat.
Wenn man dem Timestamp glauben darf, war das 8 Minuten, nachdem die Demo losgegangen ist. Die Situation kann man aber vielleicht von oben besser begreifen.
Im Kreis ist der ungefähre Startpunkt markiert. Die Linie und das X markieren den Ort, an dem die Demonstration um 15:12 Uhr aufgestoppt wurde. Bis dahin hatte die Demo unfgefähr 130 Meter zurückgelegt.
Sie haben ihre Demozeit überschritten
Keine 5 Minuten später, waren 2 Wasserwerfer aufgefahren, zig gepanzerte Polizisten formierten sich und die Demonstration war den halben bisher zurückgelegten Weg zurückgedrängt worden.
In dieser “Patt-Situation” wurde einige Zeit verharrt. Die Polizei verlangt das Unterlassen des Werfens von Gegenständen und die Demonstranten haben wenige Optionen. Viele von ihnen kauern sich, ebenso wie zunächst die Hunderschaft, an die Mauern der Gebäude. Die Sprecher beider Seiten keifen darüberweg.
Einige Demonstranten werfen Flaschen und kleinere Gegenstände. Hier und da brennen Bengalos. Alles nicht übertrieben gefährlich für eine Wand aus “WaWes” und gepanzerten und behelmten Einsatzkräften.
Starke Bilder
Ein bisschen Farbe muss auch dazwischen gewesen sein. Und die hat eins der, wie ich finde stärksten Bilder des Tages hervorgebracht.
Meine spontane Assoziation habe ich getwittert:
Vertreter des Rechtsstaats wischt sich mit Transparent den Ar … äh, Helm ab. #hh2112 pic.twitter.com/Qs76CkWgx6
— Daniel Meyer (@_DerMeyer) 21. Dezember 2013
Das Foto stammt von der dpa. Die dafür scheinbar selber zwischen die Fronten geraten ist.
Am Pferdemarkt sind vorhin zwei @dpa-Kollegen trotz Presseausweis von Polizisten umgeschubst und geschlagen worden. #hh2112
— Hanning Voigts (@hanvoi) 21. Dezember 2013
Die Tagesschau findet das Thema um Acht Uhr nicht besonders interessant, bringt auf einem der allerletzten Themenplätze eine sehr einseitige Darstellung des Polizei-Pressesprechers.
Kurz: “Die werfen Sachen, wir räumen.”
Sit-Rep
Die Demonstranten sind derweil eingekesselt auf dem Schulterblatt. Denn während auf dem Nord-westlichen Ende, vor der Bahnüberführung der Kampf mit dem offensichtlich gewaltbereiten Teil der Demo tobt, sieht die Situation für den friedlicheren Teil im Süd-Osten des Schulterblattes so aus:
Viel geht da nicht mehr, die Demo eingeschlossen auf knapp 400 Metern. Ein Entweichen nur noch möglich über den “umkämpften” Kreuzungsbereich Susannen-/Juliusstraße.
Ein Twitter-User erfasst die Situation:
Ganze Schanze ein Kessel!! #hh2112
— frederika björklund (@ankerbraut) 21. Dezember 2013
Gewalt erzeugt Gegengewalt
Inzwischen tobt der Kampf der Polizei gegen die (gewaltbereiten) Demonstranten schon mehrere Stunden.
Die Situation zerfasert, kleinere Kessel werden gebildet und die klar unterlegenen (gewaltbereiten) Demonstranten machen kaputt was sie in die Finger bekommen können. Meistens Scheiben, Autos oder Straßenschilder.
Die Gewalt der Polizei derweil richtet sich nicht gegen versicherte Sachgegenstände. Die Gewalt der Polizei geht wahllos gegen Menschen. Gegen Demonstranten, die in dieser Situation, zum Teil zu Recht, ein Feindbild haben.
#hh2112 DE-eskalieren(!), geht glaub ich anders. https://t.co/OPMiPDsTE8 #kampfroboter
— Daniel Meyer (@_DerMeyer) 21. Dezember 2013
Ein Bild des Tages habe ich schon gekürt, wenn ich einen Song zu #hh2112 aussuchen müsste wäre es dieser.
Wer schonmal mit dem schwarzen Block und einer Polizeikette auf gleicher Höhe gestanden hat, der weiß, die Gewalttouristen gibt es nicht nur auf der einen Seite.
Und wer das nicht kennt: Was es heißen kann, wenn Polizisten im Roboter-Modus handeln, erläutert am späten Abend eine Anwohnerin der Juliusstraße beim Freien Sender Kombinat (FSK 93,0):
Danke, das reicht schon
Ich habe mir mein Bild an dieser Stelle schon fast fertig gemalt:
Es gibt die besetzte Flora, die geräumten Esso-Häuser und die gesamte Flüchtlingsdebatte unter dem Begriff “Lampedusa” auf der einen Seite. Repräsentiert von bis zu 8000 Menschen, davon vielleicht ein Viertel bis die Hälfte “gewaltbereit”.
Auf der anderen Seite steht ein Investor, der den Senat und die gesamte Macht der bundesweiten Polizei im Rücken hat. Das äußerte sich am 21.12.2013 konkret in bis zu mehr als 10 bereitstehenden bzw. eingesetzten Wasserwerfern und Räumfahrzeugen und mehr als 3000 Mann gepanzertem Fußvolk, mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Quarzsand-Handschuhen.
Die waren am Vorabend aber wohl noch nicht da, sonst hätte man sicher einen Großteil der “Chaoten” im Vorfeld aus dem Spiel nehmen können um die ganze Situation im Vorfeld zu Entschärfen.
Das wäre ihre Chance gewesen.
Wie du mir, so ich dir?
Anstatt dessen wird am Samstag möglicherweise sowas wie Vergeltung an den Demonstranten vollzogen. Aus der PM der Polizei, die übrigens sachlich und im Bezug auf die Zeitangaben äußerst fragwürdig ist, geht hervor:
Denn dass sich ein unvermittelt aufgestoppter “schwarzer Block” nicht lange im Zaum halten können würde, war von vornherein abzusehen und die Rechtfertigung des Einsatzes nach Minuten geschaffen.
Und so einfach wird die Polizei in Hamburg zu einem politischen Akteur. Sie hat mit ihrem martialischen Auftreten und Durchgreifen, eine Eskalation der Situation erzwungen um einer politische Kundgebung die Inhalte zu nehmen und in der Flut der Gewaltbilder untergehen zu lassen. Und was die Leitmedien angeht, ist das größtenteils gelungen.
Zunächst.
Licht am Ende des Tunnels
— Sebastian Riehm (@herrriehm) 23. Dezember 2013
Denn unterm Strich senken Bilder, wie die vom Samstag, die allgemeine Protestbereitschaft – die Hemmschwelle für eine Sache auf die Straße zu gehen steigt enorm, wenn ich damit rechnen muss, eingekesselt, mit Pfefferspray besprüht und mit unter bewusstlos geschlagen zu werden – und das widerspricht meinem Verständnis vom demokratischer Meinungsbildung.
Mehr als 500 verletzte Demonstranten und mehr als 100 verletzte Polizisten müssen nicht sein, sind aber meines Erachtens einer bewussten (präventiven) Eskalationstaktik geschuldet.
Nicht zuletzt bekräftigt auch durch die Äußerungen von Polizeigewerkschafter Björn Werminghaus.
The End
Nachtrag:
Nachdem das playmobil-City Action – Team am heiligen Abend zu einer sehr erquicklichen politischen Diskussion im Kreise meiner Familie geführt hat, hoffe ich, dass soetwas auch andernorts geschehen ist (oder noch wird) und verweise gerne auf zwei weitere Artikel zum Thema. Damit kann man pfundig diskutieren und alle haben Spaß. Auch noch nützlich an Silvester:
“Der Schwarze Block marschiert – mit ruhig festem Schritt” (Die Achse des Guten)
Papa war übrigens mäßig begeistert von seiner neuen Schreibtischdeko.

Noch mehr Infos zum Thema:
http://www.taz.de/Demo-fuer-Erhalt-der-Roten-Flora/!129830/
http://mobil.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Was-alles-nicht-gesagt-wird-article11969856.html
http://www.fsk-hh.org/blog/2013/12/22/polizeilicher_zahlenverdreher
http://www.publikative.org/2013/12/23/hh2112-die-polizei-die-medien-und-die-gewalt/
http://www.ndr.de/regional/hamburg/protest449.html
http://danielbroeckerhoff.de/2013/12/22/hh2112-ich-habe-kein-verstaendnis/
http://www.freitag.de/autoren/auerbach/wer-darf-in-der-stadt-wohnen
http://www.freitag.de/autoren/felix-werdermann/ein-weihnachtsgeschenk-fuer-linksextremisten
http://benjaminlaufer.wordpress.com/2013/12/22/medienberichte-und-realitat-hh2112/#more-215
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-12/hamburg-demonstration-rote-flora
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-12/Rote-Flora-Hamburg-Demonstration-Bericht
http://www.sueddeutsche.de/panorama/krawalle-in-hamburg-kalt-wie-das-gesetz-1.1849752
http://youtu.be/ZCK33Y-R_9w?t=4m1s
http://revotweets.wordpress.com/2013/12/23/hh2112-angriff-der-aufstandsbekampfungs-einheiten/